Far East Film Festival Udine

18.04. bis 26.04.2008

Das Udine Far East Film Festival ist heuer 10 Jahre alt geworden. Getreu seinem Motto der ersten Stunde hat es sich zu einem Treff der Freunde des asiatischen Filmschaffens entwickelt und die 100.000 Einwohner zählende Kleinstadt Udine ein für alle Mal für Asiaten auf die künstlerische Landkarte gesetzt.

„Verbinden statt trennen“ („Ties that bind“) hat die Organisatoren des Festivals – besonders seine Präsidentin Sabrina Baracetti – von Anfang an dazu veranlasst, nicht in allen großen Festivals abgespielte arthouse oder Autoren-Filme zu zeigen, sondern statt dessen in Ostasien erfolgreiche Publikumsrenner aufzugreifen und möglichst viele asiatische Regisseure, Schauspieler und Journalisten für Diskussionen nach Udine zu bringen. Durch ein Netzwerk erstklassiger Berater und auf der Basis eines Naheverhältnisses zu Marco Müller, dem langjährigen Direktor des Filmfestivals von Venedig, war es wie in der Vergangenheit auch in diesem Jahr möglich, mainstream Produktionen aus Hong Kong, China, Japan, Indonesien, Malaysien, Singapur, die Philippinen, Südkorea, Taiwan, Thailand und Vietnam zu sehen. Dazu kommt eine Retro aus vier Frühwerken des südkoreanischen Regisseur/Produzenten und Verleihers Shin Sang-ok, geboren 1925, und seiner Frau Choi Eun–Hee – deren Ruf als Star eher mit „A College Woman´s Confession“ (1958), „A Sister´s Garden“ (1959), „It´s not her sin“ (1959) und „A Flower in Hell“ (1958) begründete. Ein Detail am Rande: Choi und Shin wurden vom nordkoreanischen Regime in den 1970er Jahren entführt, um in Pjöngjang die Filmindustrie aufzubauen. Nach Auszeichnungen für zwei ihrer in Nordkorea gedrehten Filme bei den  Festivals von Karlovy Vary und Moskau (1984 und 1985) gelang es den beiden Künstlern, in der amerikanischen Botschaft in Wien Asyl zu erhalten und nach Hollywood auszureisen. Shin verstarb 2006, Choi lebt heute, 82 Jahre alt, in Seoul.

„Ties that bind“ steht auch für eine zweitägige Veranstaltung zur Information über Auslotung von Produktionsmöglichkeiten mit Italien bzw. Europa – eine weitere Verbindung zwischen Ost und West.

An dieser international besetzten Gesprächsrunde nahmen 15 renommierte Vertreter der Filmindustrie aus elf Ländern teil, darunter Patrick Frater von Variety Asia, Marco Müller, Peter Loehr, der mit seiner Firma IMAX als erster Ausländer eine unabhängige Filmproduktions/Vertriebsfirma in Peking Ende der 1990 Jahren gründete und seit 2005 die Creative Artists Agency in China leitet – eine Agentur für Filmleute (Schauspieler, Autoren, Musiker, Ausstatter, etc) auf allen Gebieten der Unterhaltungsindustrie und Wouter Barendrecht, Gründer von Fortissimo Films im Jahre 1991 - eine Firma, die heute weltweit 250 Filme vertreibt und auch selbst produziert.

Der Vertreter des Korean Film Council berichtete, dass jährlich zwei Filme mit einem Budget bis zu 3 Mio. Euro in seinem Land eingereicht werden können, wenn mindestens zwei Länder (darunter Korea) an der Produktion beteiligt sind. Der finanzielle Beitrag kann bis zu 200.000 Euro in bar ausmachen.

Das Konzept der Festivalveranstalter, mit kommerziell im jeweiligen Land erfolgreichen Produktionen auch in Udine zu punkten, ist in diesem Jahr ebenfalls aufgegangen, wie die täglichen Besucherzahlen beweisen: bei sieben Vorstellungen pro Tag 5.000 Besucher aller Altersgruppen anzulocken, davon 35% asiatische Filmliebhaber aus allen Teilen Italiens, ist gewiss eine beachtliche Leistung.

Auf Grund der Olympiade ist das Interesse an chinesischen Filmen besonders groß. Nach offizieller Statistik ist die chinesische Filmindustrie 2007 um 30% gewachsen, hat drei Milliarden Euro box office Einnahmen zu verzeichnen und damit ein Plus von 26% gegenüber 2006 erzielt. 78 Filme wurden in 47 Ländern für zwei Milliarden Euro verkauft, Fernsehrechte für eine Milliarde. 2007 wurden insgesamt 402 Filme produziert, von denen 208 an 97 internationalen Festivals teilnahmen. 49 Filme wurden ausgezeichnet. Trotz aller Maßnahmen der chinesischen Regierung zum Schutz der eigenen Filmproduktion und beschränkten Vorführungsperioden hat der US-Film „Transformers“ 260 Mio. Euro eingespielt, gefolgt von „The Assembly“  des Regisseurs Feng Xiaogang, der im Dezember 2007 anlief und in knapp zwei Wochen 160 Mio. Euro einspielte, wobei anzumerken ist, dass es landesweit zur Zeit nur etwa 490 Kinos gibt.

In Udine sind sechs chinesische Produktionen zu sehen, die allesamt die Entwicklungs – und Experimentierfreudigkeit der chinesischen Regisseure zeigen. Man wird sie nicht als 7. Generation klassifizieren können; dazu sind sie zu verschiedenartig. Die Regisseurin Xiao Yang, bekannt durch TV Serien und Drehbücher, hat mit ihrem zweiten Film „PK.com.cn“ (2007), unter Einsatz von besonderer Popmusik, MTV Montagen und Tanzfolgen, ein Werk geschaffen, das bislang am Festland nur von Hongkong, Japan und Korea aus zu sehen war. Regisseur Liu Sisheng hat mit seinem dritten Film „The Other Half“ (Ling yi ban) die Beziehungen von drei Frauen - Mutter und zwei Töchter im heutigen Peking - in allen ihren Facetten mit großem Unterhaltungswert und hervorragenden schauspielerischen Leistungen seiner drei Darstellerinnen und einem exzellent geschriebenem Drehbuch - eingefangen. Zhang Yibai ist mit seinem fünften Film „Lost, Indulgence“ („Mi guo“) ein modern-romantisches zum Teil geheimnisumwittertes Familiendrama gelungen, mit wenig Dialog, jedoch Szenen mittels Farbe, Licht und lange ausharrenden Einstellungen.

Regisseur Wang Wei, Jahrgang 1976, hat sein Erstlingswerk „Ta Pu“ mit Emei-Filmstudio der Provinz Sichuan gedreht und spielt selbst die Hauptrolle. Es geht um das immer aktuelle Thema Schulbildung. Diesmal sind es Erwachsene und Jungendliche vom Land, die Ende der 70er Jahre nach Wiedereröffnung der Universitäten sich in der Provinz Shanxi auf die entscheidende Prüfung in einer „Vorbereitungsschule“ vorbereiten. „Ta Pu“ fängt die Zeit aufkeimender Hoffnung nach der Kulturrevolution meisterlich ein, ohne sich auf kontroversielle Themen einzulassen.

Der bei weitem interessanteste Film kommt vom zur Zeit „heißesten“ Regisseur der Volksrepublik China. Feng Xiaogang, Jahrgang 1958, ist kein Abgänger der Filmakademie Peking. Zu Beginn schrieb er Drehbücher und arbeitete in verschiedenen Funktionen im  Fernsehen. 1991 schreibt er eine Fernsehserie auf der Basis eines Romans über chinesische Immigranten in Amerika und verfilmte die Serie selbst, mit Jiang Wen in der Hauptrolle. „Beijingers in New York“ war beim chinesischen Publikum ein durchschlagender Erfolg, wie übrigens seither alle seine Werke, was ihm die Ernennung zu einem der „Asian Stars 2004“ der American Business Week eintrug.

Sein Film „The Assembly“ 2007 ist ein - äußerst erfolgreicher - Antikriegsfilm, der wahrscheinlich der weltweit stärkste dieses Genres.

Das Drehbuch stammt von Liu Heng, der seinerzeit für Zhang Yimou „Judou“ schrieb. Die Fotographie lag in den meisterlichen Händen - und Augen - von Lü Yue, („Am anderen Ende der Brücke“, mit SK Film Salzburg, Josef Koschier als Koproduzent). Die Schlachtenszenen sind Höhepunkte des Films und bringen starke detaillierte Szenen, die auch Gerüche, Geräusche und furchtbares seelisches und physisches Leid vermitteln.

In diesen Kriegsszenen ist etwas von „Saving Private Ryan“ zu spüren: gewalttätiger Realismus statt der oft übertriebenen Heldenhaftigkeit chinesischer Propaganda- Kriegsfilme. Wenn der Film das Geschehen der Zeit nach dem Krieg beschreibt und Fragen nach Heldentum, Opfer, Bürokratismus und „government leadership“ aufwirft, betritt der Regisseur unberechenbaren politischen Boden, indem er mögliche Führungsfehler aufzeigt, aber die ganze Erzählung doch in eine autoritätsbestätigende Packung steckt. Mit diesem Film ist es Feng Xiaogang erneut gelungen, seine Fähigkeit unter Beweis zu stellen, Blockbusters mit transnationalem Reiz zu drehen. So ist zu hoffen, dass dieser Film in naher Zukunft auch seinen Weg in die Viennale und in österreichische Kinos findet.